K U R Z G E S C H I C H T E Die Autorin Karen Köhler Sie wurde 1974 in Hamburg geboren als erste von zwei Töchtern eines Feuerwehrmanns und einer Altenpflegerin Nach dem Abitur reiste Köhler durch Mexiko und die USA Sie studierte zunächst Schauspiel und arbeitete zwölf Jahre lang am Theater Nebenher be gann sie literarische Texte zu schreiben ent warf Illustrationen und produzierte animierte Kurzfilme 2014 erschien ihr viel beachteter Erzählband Wir haben Raketen geangelt 2017 erhielt sie für ihren Roman Miroloi erschien 2019 bei Hanser ein Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung 2018 das Arbeitsstipendium des Deutschen Litera turfonds Köhlers Theaterstücke stehen bei vielen Bühnen auf dem Spielplan Sie lebt in Hamburg St Pauli und schreibt Theaterstü cke Drehbücher und Prosa Dosenrand und am Filter Ich traute mich nicht Rudi anzusehen aus Angst ich könnte sentimental werden vielleicht so gar losheulen das fehlte gerade noch auch er starrte vor sich hin und wir blie ben still Rudi und ich hatten damals die Zeit un seres Lebens gehabt ohne es zu wissen Wir waren jung gewesen und vogelfrei unsere Knochen hatten noch nicht weh getan und alle Zähne hatten wir auch noch In den freien Wochen sind wir ge fahren wohin wir wollten und wir woll ten alles und überall hin Wir waren uns auch damals schon nah gewesen aber ich hatte die Grenze nie überschritten diese unsichtbare unausgesprochene Grenze weil ich wusste dass er nichts von mir wollte Rein gar nichts Als sein Cousin aus dem Losegeschäft aussteigen wollte hatte Rudi die Bude übernommen und gesagt Das ist jetzt un sere Aber natürlich war es immer seine Bude immer sein Glückspalast gewesen er bezahlte mich nur tageweise Das hatte mich nie gestört weil seine Nähe mir mehr bedeutete als das Geld Hast du deine Fahrkarte Ja In der App Wann geht der Zug Um kurz vor drei Rudi schnippte die Kippe weg schwang sich zu den Kartons hoch griff sich den widerspenstigen Flamingo vom Karton stapel und sagte mit Flamingostimme Werd dich vermissen komischer Vo gel Dann drückte er mir das Plüschtier in die Arme Nimm mit Als Andenken Wie Andenken An den Glückspalast Und dann heulte ich tatsächlich Wer hat noch nicht wer will noch mal Gewin ne Gewinne Gewinne Mehr könne er wirklich nicht tun sagte er und gab mir den Umschlag mit dem letzten Lohn Er schmiss mich tatsächlich raus wegen der Bestimmungen ich müsse das verstehen Hier geht niemand leer aus Es sei ja nicht für immer Nur bis das vorbei sei Jedes vierte Los ein Hauptgewinn Dass das ge logen war wussten wir beide Aber prüfen konnte das keiner und die Hoffnung die wollte man doch so weit aufspannen wie es eben noch glaubwürdig war Hereinspa ziert in den Glückspalast Weißt ja Mindestabstand und so sag te er und dass der Wohnwagen dafür zu klein sei Marlene war ja auch noch da Mehr könne er wirklich nicht und ich sol le zusehen dass ich gesund nach Hause komme Wenn das alles vorbei sei würde er sich sofort wieder melden Na dann Na dann Meine Klamotten hatte ich schon ge packt ich besaß eigentlich nicht viel und Rudi meinte ich käme ja eh bald wieder Eine letzte Umarmung und ab jetzt Min destabstand haha genau wir hören uns auf jeden Fall Dann machte ich mich auf den Weg Mit der Tasche über der Schulter und dem scheiß Flamingo unter dem Arm Am 18 3 2020 wurde ein rosafarbener Plüschflamingo im ICE 771 gefunden Ist das Ihr Plüschflamingo Schreiben Sie uns Wir bewahren alle vorgestellten Fundstücke geson dert auf damit sie ihren Eigentümer doch noch finden fundstueck dbmobil de Sie haben etwas im Zug oder am Bahnhof ver loren oder gefunden Den Fundservice der DB erreichen Sie unter bahn de fundservice ihren behandschuhten Händen saure Schlangen heraus die fast einen Meter lang waren und rollte sie in einer Plastik box zusammen Dann sah sie uns an lä chelte und ich angelte mir die Alpakas Die Stimmung ist heute auf dem Tiefpunkt bei allen der überstürzte Ab und Auf bruch und dass sie da noch lächeln kann macht Marlene so besonders Das mit Rudi und ihr hatte ich gleich kommen se hen und war natürlich sofort eifersüchtig gewesen Auch als er mir versichert hatte da sei nichts Rein gar nichts Ein Alpakabein hatte den Sack an der Seite aufgerissen die Tiere drohten in den Matsch zu fallen Ich stopfte alles so gut es ging zurück und den Sack dann in den lee ren Karton Was war das hier eigentlich alles für eine Riesenscheiße Rudi war mit dem Stapeln fertig verschwand im Wohn wagen ich holte die rosa Flamingos runter Wir hatten beide damals am Autoscoo ter seines Onkels angefangen Rudi hatte ein gutes Wort für mich eingelegt und ich hatte nicht enttäuscht Mein Saufkopf von Vater hatte in jenem Sommer alles ver spielt die Achterbahn die Ehe das Glück und war dann allein mit unserem Wohn wagen auf und davon Meiner Mutter und mir blieb wenig und das reichte nicht weit Bald fuhr ich immer mit Rudis Familie von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und blieb nur im Winter ein paar Wochen bei meiner Mutter in der Wohnung am Stadtrand Sie hoffte noch immer auf Enkel obwohl sie längst wusste wie ich ticke Der letzte Flamingo passte nicht mehr in den Karton sosehr ich auch quetschte der Deckel ging nicht zu also setzte ich den Vogel auf den Stapel daneben und klebte den Karton zu Bierchen Rudi warf mir ohne meine Antwort ab zuwarten von unten eine Dose zu Wir setzten uns auf den Budenrand knackten die Biere meins schäumte über wir steck ten uns Zigaretten an und sahen zu Zu ckerschnute rüber die gerade die Liebes äpfel in den Müll donnern wollte dann aber als sie unsere Blicke bemerkte inne hielt Bock auf nen Apfel Nee Mir is eh schon schlecht Traurig das alles Kannst du laut sagen Die klebrigen Liebesdinger landeten in der Tonne wir nuckelten abwechselnd am 8 6 d b m o b i l d e Anzeige 1 2 210x136 082 Dasliterarische Fundstu ck indd 86 08 09 20 08 44

Vorschau DB mobil 10-2020 Seite 86
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